Die Atomkraft-Lüge : Atomkraft ohne Perspektive

Von Reinhard Loske
erschienen in: profil:GRÜN, 03/2006

Die Atomkraft-Lüge

20 Jahre nach Tschernobyl unternehmen interessierte Kreise erneut den Versuch, die Atomkraft als Energiequelle der Zukunft hinzustellen. Wie tragfähig sind ihre Argumente?

Am 26. April 1986 löst eine außer Kontrolle geratene Kettenreaktion im Block 4 des ukrainischen Atomkraftwerks Tschernobyl eine gewaltige Explosion aus. Mehrere zehntausend Menschen aus der nächsten Umgebung werden sofort evakuiert. Die Strahlung breitet sich innerhalb weniger Tage bis nach Westeuropa aus. Sie kontaminiert Städte, Dörfer, Äcker, Wiesen und Wälder. Spiel- und Sportplätze werden gesperrt. Viele Lebensmittel sind aufgrund ihrer hohen Strahlenbelastung für lange Zeit nicht mehr zum Verzehr geeignet. Die Bilanz des schrecklichen Ereignisses: 400.000 Menschen müssen wegen Verstrahlung ihrer Heimat umgesiedelt werden, mehr als 200 Gemeinden hören auf zu existieren, zahlreiche Menschen sterben, andere erkranken schwer.

Heute, 20 Jahre nach dem Atomunfall von Tschernobyl, haben die Gefahren der Atomenergie eher noch zugenommen. Geblieben sind die "alten" Probleme: mögliche Großunfälle, die ungeklärte Endlagerung des Jahrtausende strahlenden Atommülls und der potenzielle Missbrauch von nuklearem Material für militärische Zwecke. In den letzten Jahren ist eine weitere Bedrohung wahrscheinlicher geworden: Terroristen könnten Atomkraftwerke als Angriffsziel auswählen oder Anschläge mit "dreckigen Bomben" aus vagabundierendem Nuklearmaterial planen. Die bislang bekannt gewordenen Notfallpläne der AKW-Betreiber im Falle eines terroristischen Angriffs grenzen ans Komische. Außer der Einnebelung ihrer Anlagen, etwa im Falle eines sich nähernden entführten Flugzeugs, ist ihnen noch nicht viel eingefallen.

Ausstieg und nachhaltige Versorgung ...

In Deutschland hat die rot-grüne Regierung die Nutzung der Atomenergie als dauerhaft nicht verantwortbar eingestuft. Der Bundestag hat den Atomausstieg per Gesetz beschlossen. Folglich sollen bis etwa 2020 alle Atommeiler abgeschaltet werden, als erste die alten und besonders störanfälligen. Bis 2009, so der Plan, sollen die Spitzenreiter der Störfalllisten Biblis A, Neckarwestheim 1, Biblis B und Brunsbüttel vom Netz gehen.

Für uns Grüne ist klar: Zum notwendigen Ausstieg aus der Atomkraft gehört der Einstieg in eine nachhaltige Energieversorgung. Den Weg dazu weisen die drei E's. Wir brauchen erheblich verstärkte Anstrengungen zur Energieeinsparung, zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zu mehr Energieeffizienz in der Stromerzeugung. Geeignete Instrumente sind hier vor allem die Kraft-Wärme-Kopplung und eine dezentrale Energieversorgung. Große Teile der SPD bevorzugen eher Kohle als Ersatz für die Atomkraft. Das ist mit den gesetzten Klimaschutzzielen nicht zu vereinbaren und für uns daher keine Alternative. Unser Ziel ist und bleibt es, den Atomausstieg und den Klimaschutz gleichermaßen zu verwirklichen. Das ist, wie viele Energieszenarien zeigen, möglich – wenn der Wille dazu vorhanden ist und die energiepolitischen Rahmenbedingungen richtig gestaltet werden.

... oder doch zurück zur Atomkraft?

Seit dem Regierungswechsel stellen Unionspolitiker und die großen Energieunternehmen den Ausstieg aus der Atomenergie wieder in Frage. Als habe es Tschernobyl nie gegeben. Aktuell sind es vor allem die hohen Ölpreise und die Erdgaskrise zwischen Russland und der Ukraine, die den Atomkraftbefürwortern Anlass bieten für einen "Ausstieg aus dem Atomausstieg" zu werben. An vorderster Front tummeln sich die Ministerpräsidenten Stoiber, Oettinger, Koch und Wulff. Die einen plädieren für längere Laufzeiten, andere gleich für neue Atomkraftwerke. Den Stromkonzernen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW liegt vor allem daran, ihre alten und abgeschriebenen Anlagen länger laufen zu lassen. Sie möchten auch weiterhin Monopolgewinne erzielen und ihre dominierende Marktstellung festigen. Passend dazu haben die Betriebsräte dieser vier Stromkonzerne mit den Gewerkschaftsvorsitzenden Schmoldt (IG Bergbau, Chemie und Energie) und Bsirske (ver.di) einen Brief an Union und SPD geschrieben. Darin sprechen sie sich für Atomkraft und Kohle aus, aber gegen erneuerbare Energien und einen wirksamen Klimaschutz.

Chefredakteure bedeutender Meinungsblätter aus Hamburg neigen wieder dazu, Atomkraft für eine grandiose Zukunftstechnologie zu halten, erneuerbare Energien dagegen für Kinkerlitzchen.

Argumente der Atomfreunde – gewogen ...

Was ist geschehen? Hat sich die Lage geändert oder hat sich nur der Wind gedreht? Wie belastbar sind die Argumente der Atomfreunde? Gehen wir sie im Einzelnen durch:

Atomkraft ist billig und fördert so die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.

Dieses Argument ist falsch. Die Atomenergie ist in Deutschland lange Zeit hoch subventioniert worden und wird es zum Teil auch heute noch: durch Forschungsförderung, die weit gehende Freistellung von Haftungsrisiken, die Steuerbefreiung für Atomrückstellungen und Atombrennstoffe. Doch trotz dieser Subventionierung ist die Atomkraft bis heute nicht wettbewerbsfähig. Sie kann auf funktionierenden Energiemärkten mit anderen Energien nicht konkurrieren. Nur alte, abgeschriebene Anlagen können das – mit negativen volkswirtschaftlichen Folgen.

Denn längere Laufzeiten für veraltete Atomkraftwerke bedeuten vor allem eines: Sie verhindern Innovationen und Strukturwandel. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft hängt aber weit mehr an der Fähigkeit zur Innovation und ihrer schnellen Umsetzung als an niedrigen Stromkosten. Ausbleibende Investitionen in innovative Energietechnologien, in die drei E's, dürfen wir uns auch wirtschaftspolitisch nicht leisten.

Deutschland geht mit seinem Atomausstieg einen Sonderweg, während die Atomkraft in anderen Teilen der Welt eine Renaissance erlebt.

Auch hier haben wir es eher mit Wunschdenken der Atomlobby als mit einer Realitätsbeschreibung zu tun. Derzeit sind weltweit etwa 440 Atomkraftwerke in Betrieb. Einzelnen Neubauten stehen zahlreiche altersbedingte Abschaltungen gegenüber. Allein um den Status quo zu halten, müssten in den kommenden zehn Jahren 80 neue Reaktoren gebaut werden – alle sechs Wochen einer. Im dann nachfolgenden Jahrzehnt müssten sogar 200 Meiler ans Netz gehen, also alle 18 Tage einer. Zwar befinden sich nach offiziellen Angaben derzeit 30 Atomkraftwerke im Bau, vor allem in Asien. Aber mehr als die Hälfte von ihnen sind Bauruinen, an denen seit etwa 20 Jahren "gebaut" wird. Die wenigen "echten" Neubauten finden sich derzeit in China, Japan, Taiwan, Südkorea und Finnland. In den USA wurden seit 30 Jahren keine Meiler mehr errichtet, in Deutschland und Großbritannien seit über 20 Jahren nicht mehr. Sieht so eine "Renaissance" aus? Wohl kaum! Tatsächlich geht die Internationale Energieagentur denn auch davon aus, dass der Anteil der Kernkraft an der weltweiten Stromerzeugung bis 2030 deutlich sinkt.

Bei der Atomkraft handelt es sich praktisch um eine heimische Energie, die einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leistet.

Deutschland ist bei keinem Energieträger so sehr abhängig von Importen wie beim Brennstoff Uran – nämlich zu 100 Prozent. Kein anderer Brennstoff ist so begrenzt verfügbar. Das wirtschaftlich abbaubare Vorkommen wird weltweit auf zwischen 1,25 und vier Millionen Tonnen geschätzt. Angesichts der aktuellen Nutzungspläne bedeutet das eine Reichweite von 30 bis 40 Jahren. Fazit: Atomkraft ist weder eine heimische Energiequelle noch kann sie langfristig Versorgungssicherheit bieten.

Die Atomenergie ist kohlendioxidfrei und deshalb ein Beitrag zum Klimaschutz.

Zunächst: Der Beitrag der Atomenergie zur weltweiten Energieversorgung liegt heute bei unter fünf Prozent. Wenn Atomkraft aus Klimaschutzgründen einen deutlich höheren Anteil am weltweiten Energiebedarf abdecken sollte, müssten zusätzlich tausende neuer AKW gebaut werden. Das würde schon an den geringen Uranvorräten scheitern. Deshalb bleibt Atomkraft für den Klimaschutz eine Illusion. Atomkraftwerke sind zentrale und unflexible Großstrukturen, sie fordern konstant hohe Energieverbräuche und fördern also massive Verschwendung von Energie. Daraus folgen oft verfehlte Gesamtstrategien für eine wirksame Klimaschutzpolitik, die ja über den Stromsektor hinausreichen muss. Auch empirisch betrachtet stehen Länder mit hohem Atomenergieanteil in Sachen Kohlendioxidausstoß keineswegs besser da als vergleichbare Industriestaaten. Zum Teil sogar deutlich schlechter. Die USA, Frankreich oder Südkorea bestätigen das.

... und für zu leicht befunden

Viel Substanz haben die Argumente der Atomlobby also nicht. Sie scheinen eher vorgeschoben oder aber sie sind Ausdruck einer Realitätsverweigerung. Und – damit kommen wir zurück zum Ausgangspunkt – sie ignorieren die mit der Nutzung der Atomkraft untrennbar verbundenen Gefahren. Unsere Antwort für die Zukunft der Energieversorgung bleiben die drei E's: erneuerbare Energien, Energieeffizienz und vor allem Energieeinsparung. Dieser Ansatz beinhaltet überschaubare Sicherheitsrisiken. Er ist darüber hinaus ökologisch verantwortbar, sozial verträglich und wirtschaftlich viel versprechend, mit einem Wort: nachhaltig.

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